Fast-Fashion – Wie Kleidung vom Luxus- zum Wegwerfprodukt wurde
Schnell wechselnde Trends, jede Woche neue Kollektionen in den Läden, Kleidung, die nach zweimal tragen aussortiert wird, oder Kleiderschränke voller ungetragener Kleidung. All dies sind Folgen der Fast-Fashion. Die schnelle Mode hat aber noch viel verheerendere Folgen, die wir in den glänzenden Läden und Schaufenstern nicht zu sehen bekommen.
Vor hundert Jahren gaben Menschen noch einen beachtlichen Teil ihres verfügbaren Einkommens für Kleidung aus. Je nach Quelle schwanken die Zahlen zwischen 13 und 30 Prozent des Einkommens. Kleider waren eine teure Investition, sie wurden teilweise ein Leben lang getragen, weitervererbt und immer wieder geflickt. Oft musste man sich Kleider auch selbst nähen, da sich schlicht nicht jede Person Kleidung aus dem Laden leisten konnte.
In den 1970er Jahren begannen die ersten Unternehmen, allen voran Inditex – das Mutterhaus von Zara und heute der grösste Fast-Fashion-Konzern – und später H&M und Topshop, Designerkleidung günstig zu kopieren und für die grosse Masse zugänglich zu machen. Dieses sehr erfolgreiche Geschäftsmodell bescherte den Unternehmen schnelles Wachstum und veränderte unseren Bezug und unsere Wertschätzung für Kleidung in der westlichen Welt grundlegend.
Zwischen 2000 und 2014 hat sich die globale Produktion von Kleidung verdoppelt, während die Preise immer weiter sanken und die Kleider immer weniger lange getragen werden – nur noch halb so lange wie vor 15 Jahren. Im Jahr 2014 wurden mehr als 100 Milliarden Kleidungsstücke neu produziert1. Die für Bekleidung ausgegebenen Gesamtbeträge bewegen sich in einem konstanten Rahmen, wobei wir für denselben Betrag heute fast doppelt so viel Kleidung einkaufen als noch vor wenigen Jahren – ein Kleidungsstück pro Woche im Durchschnitt. Ein neues Kleid für eine Party, ein neues Hemd fürs Vorstellungsgespräch – das wurde plötzlich normal. Für die Konzerne, die diesen Trend initiierten, bedeutete dies ein rasantes Wachstum.
Wieso wird Kleidung günstiger, während andere Konsumgüter teurer werden?
Kleider sind sehr (Hand-)arbeitsintensive Produkte und Arbeit kann günstiger werden, indem sie in günstigere Standorte verschoben wird. Haupthebel bei den Produktionskosten sind die Kosten für die Näher:innen, die die Kleidung produzieren. Die Produktionsstandorte haben sich über die Jahre immer wieder verschoben und befinden sich heute grösstenteils in Billiglohnländern, allen voran Bangladesch, wo 80% der Exporte oder 10% des BIP mit Textilien erwirtschaftet werden. Die Mobilität der Branche, also die Tatsache, dass Aufträge jederzeit an einen anderen Produzenten oder auch in ein anderes Land verschoben werden können, führt dazu, dass viele Unternehmen dem massiven Preisdruck der Konzerne ausgeliefert sind.
Wir bezahlen immer weniger für Kleidung und grosse Konzerne profitieren von den steigenden Absätzen, während die Kosten für Mensch und Umwelt enorm sind.
Zu wenig Geld für die Aufträge aus dem Westen heisst nicht nur zu wenig Lohn für die Arbeitnehmer:innen, sondern auch zu wenig Investitionen in die Sicherheit der Fabrikarbeiter:innen, z.B. Gebäudesicherheit, Brandschutz, etc. (In unserer dreiteiligen Blogserie kannst du nachlesen, wie sich das auf die Arbeitsbedingungen auswirkt). Es bedeutet auch weniger Geld für die Nutzung erneuerbarer Energien oder die effiziente Nutzung von Energie für den Fabrikbetrieb, es bedeutet weniger Geld für Umweltschutzmassnahmen, wie beispielsweise Abwasserfilter in Färbereien oder Viskosefabriken. So gelangen giftige Chemikalien und Abwässer ungefiltert in umliegende Gewässer oder via Boden ins Grundwasser. Oft nicht, weil geeignete Technologien fehlen würden, sondern weil zu wenig Geld vorhanden ist, diese auch einzusetzen. Das Geld fehlt, weil wir es nicht mehr gewohnt sind, einen angemessenen Preis für Kleidung zu bezahlen und weil bei den Konzernen, die die Preise drücken, Wachstum und Gewinnmaximierung über allem stehen.
Die Regierungen der betroffenen Länder sind ebenfalls von den westlichen Auftraggebern abhängig, und setzten sich viel zu wenig für ihre Arbeiter:innen, für Umweltschutz- und Sicherheitsvorschriften ein, aus Angst, durch die höheren Kosten die zuverlässige Geldquelle zu verlieren. Ein Grossteil des Bruttoinlandprodukts wird durch die Textilfabriken und ihre Exporte in westliche Länder produziert und wenn die Aufträge wegbleiben würden, hätte dies massive Folgen für die lokale Wirtschaft.
Fossile Roh- und Brennstoffe sowie enorme Transportwege machen die Textilindustrie zur schmutzigsten Branche nach der Ölindustrie
Sparpotenzial gibt es auch beim Material. Ein Grossteil der heute produzierten Kleidung besteht ganz oder teilweise aus Polyester, Acryl oder Polyamid (Nylon), – Kunststoffen auf Erdöl- oder Erdgasbasis – die sehr günstig hergestellt werden können. Dies täuscht über die wahren Kosten hinweg: Der CO2-Ausstoss für Kleidung aus billigen Kunstfasern ist etwas mehr als doppelt so hoch als bei natürlichen Fasern. In der Produktion geht es dann weiter mit dem miserablen Fussabdruck.
Bereits heute bestehen über 60% der neu produzierten Kleidung aus synthetischen Kunstfasern. Das sind Unmengen Plastik (und damit Erdöl), die jährlich für Kleidung produziert werden, welche zum grössten Teil kaum getragen wird.
Die Fabriken, wo die Garne versponnen, zu Stoffen gestrickt, gefärbt und zu Billigkleidern konfektioniert werden, sind meist mit Energie aus Kohlekraftwerken betrieben und tragen damit noch zusätzlich zur schlechten CO2-Bilanz der Industrie bei.
Auf der Jagd nach den günstigsten Arbeitskräften ist es keine Seltenheit, dass zehntausende Kilometer zurückgelegt werden, bevor ein Kleidungsstück im Laden landet. Es ist zum Beispiel gut möglich, dass ein T-Shirt mit Baumwolle (oder Rohöl) aus den USA in der Türkei zu Garn versponnen wird, danach in Taiwan zu Stoff verwoben, in Indien eingefärbt und in Kambodscha zu einem T-Shirt genäht wird, schliesslich für den Verkauf nach Europa reist und damit um die 30’000km zurückgelegt hat, wenn es im Laden ankommt.
Kleider werden in der Fast-Fashion Branche nicht qualitativ hochwertig designed um lange zu halten, sondern sind darauf ausgelegt, möglichst schnell durch den nächsten Trend ersetzt zu werden.
Aber die Herstellung ist nur ein Teil des Problems. Die Stoffe, aus denen diese Kleidung hergestellt wird, sind oft von so schlechter Qualität, dass die Kleidung schon nach kurzer Tragedauer kaputt geht. Das ist teilweise sogar so beabsichtigt. Denn die nächste Kollektion wartet schon im Laden und will auch verkauft werden.
Immer regelmässiger werden neue Kollektionen herausgebracht, die Lieferketten sind weltweit so aufgeteilt, dass nicht nur immer günstiger produziert, sondern auch immer schneller auf sich ändernde Anforderungen des Marktes reagiert werden kann. Im Jahr 2014, als die Geschwindigkeit ihren bisherigen Höchststand erreicht hatte, kamen bei Zara bis zu 24 Kollektionen pro Jahr heraus. Jede Woche werden in den Läden neue Kleider präsentiert, die jeweils nach kurzer Zeit nicht mehr verfügbar sind. Ziel dieses Vorgehens ist es, Konsument:innen immer wieder in die Läden zu locken, damit sie schauen kommen was es Neues gibt und dann aufgrund der tiefen Preise auch immer wieder einkaufen. Dieses Vorgehen vermittelt den potentiellen Kund:innen ein Dringlichkeitsgefühl. Man kann sich einen Kauf nicht zweimal überlegen, denn wenn man das nächste Mal in den Laden kommt, könnte das Teil schon nicht mehr da sein.
Unmengen Kleidung, die niemand braucht
Kleidungsstücke, die nicht rechtzeitig verkauft werden können, werden zu immer günstigeren Preisen im Sales angeboten und unter die Leute gebracht, welche das Schnäppchen unter Umständen gar nie tragen werden.
Und was passiert mit den ganzen Kleidern, die trotz aller Rabatte nicht verkauft werden können? Expert:innen zufolge wird im Handel bereits bei der Bestellung mit unverkäuflicher Überproduktion gerechnet. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diese Kleidung noch «loszuwerden», wenn Kollektion, Saison oder der Trend vorbei sind. Mit Sales und Rabatten versucht man es erst im eigenen Laden oder in Outlet Stores. Falls Ware dennoch liegenbleibt, werden die Kleider zu noch viel billigeren Preisen in Länder verkauft, in denen die jeweilige Marke unbekannt ist – um das Markenimage nicht zu beschädigen. Wenn ein Verkauf keine Option mehr ist, bleiben noch Spende oder Vernichtung der überschüssigen Kleidung. Bisher war die Vernichtung zum Beispiel in Deutschland der einfachere und kostengünstigere Weg, da für gespendete Ware Mehrwertsteuer bezahlt werden musste, für Ware, die vernichtet wurde, jedoch nicht. Dieser Umstand wurde hinsichtlich der durch die Corona-Pandemie angewachsenen Überschüsse wenigstens temporär im Steuergesetzt korrigiert.
Überschüssige Kleidung wird nach Übersee geschickt und dort billig unter die Leute gebracht, in Outlets zu immer günstigeren Preisen angeboten oder sogar neu vernichtet.
Wie viel Kleidung tatsächlich auch nach Rabatten und Outlet-Verkäufen zurückbleibt und verramscht oder entsorgt werden muss, ist nicht bekannt. Modeunternehmen nennen dazu keine Zahlen. Brancheninsider:innen rechnen mit ungefähr zehn Prozent, was 230 Millionen Kleidungsstücken jährlich allein in Deutschland entspricht.
Frankreich hat 2020 auf den Umstand mit einem Gesetz reagiert, das ab 2022 gelten soll: Um die Überproduktion zu bekämpfen und Kreislaufwirtschaft zu fördern, soll unter anderem die Vernichtung unverkaufter Non-Food-Artikel verboten werden.
Die Entsorgung – ob neu oder nach Gebrauch – der Kleidung ist schliesslich der letzte Schritt der Fast-Fashion-Maschinerie, der massgeblich zu ihrer zerstörerischen Umweltbilanz beiträgt. Die Menge an Kleidung, die wir jährlich wegwerfen oder «spenden», verursacht immense Müllberge. Hier haben wir die Problematik des Textilrecyclings in einem eigenen Blogartikel erklärt. Über die Hälfte der im Westen gesammelten Kleidung wird in zusammengepressten Ballen in asiatische oder afrikanische Länder verschifft. Was noch gut gebraucht werden kann, wird auf den Märkten verkauft und schwächt die heimische Textilindustrie. Die Riesenmenge an Kleidung aus dem Westen übersteigt die Nachfrage aber bei weitem. Ein Grossteil der Kleidung landet auf riesigen Deponien und rottet vor sich hin. Südafrika und Nigeria haben als Reaktion darauf bereits ein Importverbot für Altkleidung durchgesetzt.
Die Entsorgung der Wahnsinnsmengen an Fast-Fashion-Kleidungsstücken führen zu riesigen Deponien in Südostasiatischen und afrikanischen Ländern oder zu hohem CO2-Ausstoss bei der thermischen Verwertung.
Qualitativ zu schlechte oder für Recycling nicht geeignete Kleidung wird zur «thermischen Verwertung» verbrannt. In diesem letzten Schritt des Lebenszyklus hat die billige Kleidung aus erdölbasierten Kunstfasern noch einmal einen besonders schlechten Einfluss auf die Umwelt, denn diese Materialien setzen bei der Verbrennung im Vergleich zu zum Beispiel Baumwolle viel mehr CO2 frei.
Fast-Fashion steht für Vieles, was in unserer heutigen Wirtschaftswelt schiefläuft. Einerseits die Linearität, also Dinge werden hergestellt, gebraucht und dann vernichtet oder deponiert, anstatt, wie in einer zirkulierenden Wertschöpfungskette von Anfang an so gedacht, dass sie in die Natur zurückfinden, wiederverwertet werden können oder Ressourcen für Neues werden.
Zudem strebt man nach Wachstum, das scheinbar unbegrenzt ist, und vergisst dabei, dass die Ressourcen unseres Planeten sehr wohl begrenzt sind und wir teilweise schon über diese Grenzen hinaustreten. Kosten für Menschen und Umwelt werden nicht in wirtschaftliche Berechnungen mit einbezogen. Es ist Zeit, diese Systeme grundsätzlich zu hinterfragen.
Quellen und weiterführende Informationen:
1 Greenpeace Dokumentation zum Thema Fast-Fashion
- Greenpeace Umfrage zum Konsumverhalten im Bereich Textilien:
- Statistik zum Produktionsanstieg von Textilfasern seit 1975
- Cline, Elizabeth L. (Penguin) (2012), Overdressed - the shockingly high cost of cheap fashion (USA)
- Vogue über die Problematik des Färbens von Textilien
- Spiegel.de über den Ultrafast-Fashion-Trend
- Quarks.de über
- Arte Produktion über Fast Fashion auf SRF: Die dunkle Welt der Billigmode
- welt.de über die Vernichtung von Überschussbeständen
- Deutschlandrundfunk über die Problematik, dass das Vernichten von Ware für Unternehmen günstiger ist als Spenden
- Tagesschau.de über die Anpassung der Umsatzsteuerregelung für gespendete Produkte
- Fashionunited und Deutschlandfunk NOVA über unverkaufte Lagerbestände
- DW über die Unmengen Altkleider, die durch unseren Umgang mit Kleidung anfallen