Unterwäsche aus Plastikmüll?
Über 60% der heute produzierten Kleidungsstücke bestehen aus Kunstfasern. Dieser Anteil hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich gesteigert und ein Ende ist nicht in Sicht. Auch einige der Produkte aus dem GreenUndies-Sortiment bestehen aus recycelten Kunstfasern. Gerade filigrane Spitze ist meist aus künstlichen Fasern gefertigt, da diese Fasern sehr stabil und reissfest sind. Und auch Elastan, die Faser, die Stoffe so schön dehnbar und anschmiegsam macht, ist eine Kunstfaser.
Die «Plastikfasern» sind beliebt, weil sie farbecht sind, also die Farbe sich nicht auswäscht, weil sie schnell trocknen, robust sind und sehr billig produziert werden können. Vor allem die Bewegung zu Fast-Fashion hat den Bedarf nach günstigen Fasern explodieren lassen.
Grafik: globaler Faserbedarf in Millionen Tonnen, davon werden 43,5% für Kleidung verwendet
Quelle: Greenpeace Dokumentation «Konsumkollaps durch Fast Fashion», nach Textile World (2015)
Wieso sind Kunstfasern problematisch?
Künstliche Chemiefasern wie Polyester, Polyamid (Nylon) oder Elastan werden aus Erdöl hergestellt und sind ein Kunststoff bzw. Plastik. Die erste Problematik im Lebenszyklus von Kunststoffen ist die Rohölgewinnung, welche massive Auswirkungen auf die Umwelt hat. Ganze Landstriche werden verwüstet, um immer mehr Öl zu fördern, und dabei wird oft auch vor Naturschutzgebieten nicht Halt gemacht. Ist das Öl einmal mit sehr viel Energie und Wasseraufwand an die Erdoberfläche befördert, werden Erdöl und Erdgas in sehr energieaufwändig betriebenen Raffinerien in ihre Einzelbestandteile zerlegt, wobei durch sogenanntes Cracking (unter hohem Druck und hoher Hitze) Ethylen und Propylen gewonnen werden. Diese Bestandteile werden danach zu Polyethylenterephthalat, das wir als PET kennen. Schliesslich kann der Kunststoff PET eingeschmolzen und je nach Bedarf in beliebige Formen gebracht werden, z.B. Verpackungen, Flaschen oder eben Textilfasern.
Ein bisher eher unbekanntes Problem: Bis zu 700'000 Mikro(plastik)fasern können pro Waschmaschinenladung in die Umwelt gelangen. Dagegen helfen könnten Mikroplastikfilter in Waschmaschinen oder der Guppyfriend.
Das Problem geht nach der Produktion aber weiter: Beim Waschen von Kleidung brechen oft Fasern ab und gelangen mit dem Abwasser ins umliegende Ökosystem. Nach Angaben von Greenpeace[1] können mit einer einzigen 6-Kilogramm-Waschladung von Synthetik-Stoffen bis zu 700'000 Mikrofasern in die Umwelt gelangen. Besonders häufig geschieht das bei qualitativ schlechten Textilien, die günstig für den Fast Fashion-Markt produziert wurden. Im Fall von synthetischer Kleidung ist das problematisch, da es sich bei den Faserabbrüchen um Mikroplastik handelt. Die Fasern sind oft zu klein, um von Filteranlagen aufgefangen zu werden, und gelangen so in Gewässer. Dasselbe passiert auch mit natürlichen Fasern, aber letztere werden in der Natur in wenigen Wochen zersetzt, während Mikroplastik Jahrzehnte oder Jahrhunderte lang im Ökosystem verbleibt, mit bisher nicht bekannten Folgen.
Am Ende ihres Lebenszyklus sind Kunststoffe noch einmal problematisch. Heute werden immer noch viel zu wenig Kunststoffe gesammelt, recycelt oder wiederverwertet. Zum grössten Teil werden sie auf Deponien entsorgt, wo sie mit der Zeit zerfallen und als Mikroplastik in die Umwelt gelangen oder in der thermischen Verwertung verbrannt, wo erdölbasierte Kunststoffe sehr viel CO2 freisetzen.
Wieso sind recycelte Kunstfasern besser?
Wenn überschüssige Garne, PET-Flaschen oder andere Plastikabfälle recycelt werden, so reduziert dies einerseits Plastikmüll, welcher bei der thermischen Verwertung sehr viel CO2 freisetzen würde. Zudem fallen beim Recycling die ersten Schritte der Faserproduktion – die Rohölgewinnung und das Cracken des Rohöls/Erdgases sowie die Produktion von PET-Ausgangsmaterial – weg. Dies sind die aufwändigsten Schritte in Bezug auf Wasser und Energieverbrauch und deshalb kann ein Grossteil Energie eingespart werden, indem bereits vorhandene Kunststoffe wieder eingeschmolzen und in eine neue Form gebracht werden. 59% weniger Energie und 25% weniger Wasser werden für die Produktion von recycelten Textilfasern benötigt im Vergleich zur Neuproduktion[2].
Hersteller werben damit, Meeresplastik und Müll zu neuwertigen Fasern zu machen. In Wirklichkeit handelt es sich in den meisten Fällen um Industrieabfälle, denn Abfälle von Endkonsument:innen zu sammeln, zu trennen und zu reinigen ist sehr aufwändig. Plastik aus dem Meer zu fischen oder von Stränden aufzusammeln ist noch viel aufwändiger.
Bekannte recycelte Fasern sind beispielsweise REPREVE von Unifi, die als Pioniere damit begonnen haben, Q-NOVA von Fulgar, ECONYL von Aquafil oder SEAQUAL YARN von Seaqual. Diese Firmen tun das nicht gänzlich uneigennützig. Recycling ist nämlich eine Verwertung für eigene Industrieabfälle und hilft zudem, als gekonnte Marketingstrategie zu einem nachhaltigeren Image zu kommen. Die oben genannten Firmen sind schon lange im Geschäft und neben den recycelten Garnen produzieren sie auch grosse Mengen an «virgin» (also nicht recycelten) Kunstfasern.
Wieso gibt es nicht mehr recycelte Kunstfasern?
Das klingt doch alles vielversprechend und an Plastikmüll mangelt es uns ja sicher nicht. Wieso wird dann nach wie vor neuer Plastik produziert, anstatt recycelt?Es ist heute eine Voraussetzung, Kunststoff in einer Reinform zu haben, um diesen recyceln zu können. Viele Plastikabfälle sind aber wild gemischt und verunreinigt.
Kunststoffe können nur dann mit überschaubarem Aufwand recycelt werden, wenn sie nach Kunststoffart getrennt sind. Und bereits Kunststoff an sich wird in den meisten Breitengraden nicht separat gesammelt, sondern einfach mit dem Restmüll entsorgt. Wenn Plastik gesammelt wird, muss er gereinigt und mühsam in die benötigten Kunststoffarten separiert werden, damit diese mechanisch eingeschmolzen und wiederverwertet werden können. In Kleidung zum Beispiel sind aber oft Fasergemische zu finden, was eine mechanische Trennung nach Rohstoffen unmöglich macht.
Die künftige Lösung für dieses Problem soll eine chemische Auftrennung in die Grundbestandteile sein. Diese Lösungen sind aber noch nicht so weit fortgeschritten, dass sie auf dem Massenmarkt einsetzbar sind, und bedeuten zudem wiederum einen Einsatz von Chemikalien, die ihrerseits wieder Einfluss aufs Ökosystem nehmen.
Eine weitere Schwierigkeit bei recyceltem Kunststoff ist die Farbe. Die zusammengeschmolzenen Plastikabfälle haben keine reinweisse Farbe mehr, was erneut Chemikalien nötig macht, um die neuen Fasern zu bleichen und neu einzufärben.[3]
Die hohe Nachfrage nach recyceltem PET hat dazu geführt, dass rPET heute teurer ist als neu produziertes PET.
Und was die Sache jetzt so richtig schwierig macht: In den letzten Jahren haben sich immer mehr Unternehmen verpflichtet, ihren Anteil an recyceltem Plastik zu erhöhen. Durch die hohe Nachfrage nach sogenanntem rPET sind die Preise für recyceltes PET gestiegen und mittlerweile höher als die Preise für virgin PET[4]. Dass so etwas überhaupt passieren kann, liegt daran, dass unser System der «freien» Marktwirtschaft die wahren Produktionskosten nicht abbildet. Die Unternehmen, die die Umweltschäden verursachen, müssen dafür nicht bezahlen und die Kosten für diese Einflüsse deshalb nicht in ihre Preise (für neue Kunststoffe) einberechnen. Die Kosten der Auswirkungen, die mit der Rohölgewinnung und -verarbeitung einhergehen, muss die Allgemeinheit tragen.
Da Abnehmer nun also tiefere Preise für neu produziertes PET zahlen, kommt es zu einem hohen Missbrauchspotenzial. In der Endfaser ist nicht mehr ersichtlich, ob es sich um PET oder rPET als Rohstoff handelt, und damit können Unternehmen versucht sein, recyceltes PET teilweise durch billigeres virgin PET zu ersetzen. Wer ganz sicher sein will, dass in einem Kleidungsstück nur recycelte Kunstfasern verwendet wurden, kann dafür auf einen Textilstandard achten, der das oben beschriebene Problem adressiert. Der Global Recycled Standard ermöglicht es Unternehmen, den genauen Anteil an recyceltem Material in einem Produkt zu erfassen und durch die Produktionskette weiter zu verfolgen.[5]
Logo Global Recycled Standard
Endnoten
[1] Die Quellen zu den Zahlen konnten nicht gefunden werden, allerdings tauchen diese Zahlen immer wieder auf bei vergleichbaren Artikeln
Quellen und weiterführende Informationen
- Informationen über Plastikherstellung und Recycling von petrecycling.ch und Deutschlandfunk NOVA
- Plastikatlas 2019
- Missbrauchspotenzial mit recyceltem PET
- Infos über Recyclingarten von Polyester mechanisch vs. chemisch aus Arktieln von Fashion United und NZZ Bellevue
- NZZ Bellevue über Plastik in der Mode
- GEO und Taz über Ocean Plastic, der gar nicht aus dem Meer kommt.
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